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Im Zweierpack gegen das iranische Regime
Vor vier Jahren haben Tania Kaliji und Hans-Ulrich Mayr die Vereinigung für Menschenrechte, Frieden und Freiheit gegründet. Seither helfen der Arzt aus Winhöring (Lkr. Altötting) und die
Dissidentin iranischen Oppositionellen bei deren Flucht nach Deutschland.
Von Christoph Kleiner, 21.08.2018
In Filmen sehen Widerstandszentralen immer ganz anders aus. Hinterhofquartiere in einer der Großstädte des Nahen Ostens etwa. Vielleicht auch ein hochtechnisiertes Großraumbüro in London oder New York. Aber doch nicht so. Ein stinknormales Einfamilienhaus in der oberbayerischen Idylle, mit viel Grün drumherum und Ausblick auf den Kirchturm von Neuötting. Und doch befindet sich genau hier der Ursprung und das Zentrum für eines der emsigsten Widerstandsnester gegen das iranische Regime. Mehr als 60 Dissidenten haben Tania Kaliji und Dr. Hans-Ulrich Mayr von Winhöring aus schon zu einem sicheren Leben in Deutschland verholfen.
Angefangen hat alles mit Tania Kaliji selbst. Vor acht Jahren hörte der Arzt Hans-Ulrich Mayr erstmals von der aus dem Nordiran stammenden Frauenrechtlerin. Die heute 36-Jährige hatte es damals gerade nach Deutschland geschafft und erzählte im Radio ihre Geschichte – eine Geschichte darüber, wie sie in ihrer Heimat begonnen hatte, gegen die Steinigung von Frauen zu protestieren, wie sie daraufhin als Feindin des Islamischen Staates abgestempelt, immer wieder verhaftet und im Gefängnis geschlagen worden war. Und wie sie es schließlich über die iranisch-türkische Grenze in den Westen geschafft hatte und mit Hilfe eines "Spiegel"-Journalisten und der deutschen Botschaft in der Türkei in die Bundesrepublik gelangt war.
Mutig und Ärztin – "was sollte da schon schiefgehen"
"Ich wollte damals einfach helfen", erinnert sich Hans-Ulrich Mayr an den Radio-Beitrag und den Respekt, den Tanias Geschichte ihm abnötigte. Kurzerhand nahm Mayr über die UN und das
Außenministerium Kontakt mit der gerade eingereisten Medizinstudentin auf und bot den Behörden an, sie bei sich in Winhöring aufzunehmen. Bedenken habe er keine gehabt, sagt er: "Ich wusste ja,
dass sie engagiert, mutig und Ärztin ist – was sollte da schon schiefgehen?"
Umgekehrt war auch bei Tania Kaliji schnell das Eis gebrochen. "Ich hatte nach dem ersten Telefonat ein ganz wunderbares Gefühl. Und nach der ersten Nacht in Sicherheit, nach der langen Flucht,
der Folter und allem anderen, da habe ich hier zum ersten Mal echte Freiheit gespürt", sagt sie leise.
Diese Freiheit auch anderen Oppositionellen im Iran zu verschaffen, ist seitdem zum Antrieb Tanias geworden. Bei einem Termin im Bundestag knüpfte sie 2012 Kontakte zu offiziellen Stellen. Und
weil sie weiter bestens vernetzt blieb mit der Dissidentenszene im Iran, rutschte sie bald in eine Art Vermittlerrolle zwischen dieser und den Behörden.
2014 schließlich gründeten Tania Kaliji und Hans-Ulrich Mayr die Vereinigung für Menschenrechte, Frieden und Freiheit e.V. (MFF). Regelmäßig nehmen politisch Verfolgte aus dem Iran Kontakt mit
den beiden auf, wenn sie es in der eigenen Heimat nicht mehr aushalten und auch im Nachbarland Türkei keine Hilfe finden. Ihr dortiges Problem: Die Türkei wendet das Genfer Flüchtlingsabkommen
nicht auf Iraner an. Diese müssen auf Aufnahme in einem sicheren Drittstaat hoffen. Vergleichbar verhält es sich mit dem zweiten Nachbarn Irak. Der Hebel, den Kaliji und Mayr ansetzen können, ist
Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes. Ihm zufolge ist es möglich, einem Ausländer – im Gegensatz zum normalen Asylverfahren auch aus dem Ausland heraus – "aus völkerrechtlichen oder dringenden
humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis" in Deutschland zu erteilen. Die Grenzen dafür sind vage und doch eng gesteckt. So kann die Sondergenehmigung nur "zur Wahrung politischer Interessen
der Bundesrepublik" erteilt werden.
Tania Kaliji selbst ist über seine solche Sondererlaubnis nach Deutschland gekommen – als anerkannte und nachprüfbar verfolgte Dissidentin. Üblicherweise werden Persönlichkeiten wie sie nach
eingehender Fallprüfung vom Außenministerium vorgeschlagen. Die letzte Entscheidung liegt dann im Innenministerium. Kaliji und Mayr vermitteln die Kontakte. Sie unterstützen auch, was Nachweise
und Daten betrifft, sei es in Form von Einzelempfehlungen durch Amnesty International oder, bei verfolgten Journalisten, durch "Reporter ohne Grenzen". Mehr als 60 politisch verfolgten Iranern
haben sie dadurch eigenen Angaben zufolge nach Deutschland verholfen.
Doch was bis vor kurzem noch mit regelmäßigem Erfolg verbunden war, gerät mittlerweile deutlich ins Stocken. Aktuell kämpfen die beiden mit einem für sie völlig unverständlichen Fall: dem der
Dissidentin Roshanak Astaraki. Die 38-jährige Journalistin ist in den iranischen Oppositionellen-Kreisen eine große Nummer. "Die kennt dort jeder, eine Elitejournalistin", sagt Tania Kaliji. Umso
verwunderter sind sie und Hans-Ulrich Mayr darüber, dass die Bundesbehörden bislang abblocken, was eine Aufnahme Astarakis angeht. "Das war für uns eigentlich eine klare Sache", sagt Mayr, der
eine ganze Reihe an Bescheinigungen bereithält, die aus seiner Sicht klar die bedrohliche Lage der 38-Jährigen belegen.
Tatsächlich befindet sich Roshanak Astaraki bereits seit zehn Jahren auf der Flucht, gemeinsam mit ihrer heute zwölfjährigen Tochter. Die Journalistin hatte zuvor vehement gegen das iranische
Regime und die Missstände angeschrieben, hatte Zensur und Unterdrückung angeprangert.
Ehemann darf Iran nicht mehr verlassen
Im Ausland setzt die 38-Jährige ihr Engagement fort. Von Georgien aus, in das sie nach Zwischenaufenthalten in Malaysia und Armenien gezogen ist, ist sie für das oppositionelle
Nachrichtennetzwerk Kayan London als Politikkorrespondentin tätig. Den iranischen Sicherheitsbehörden ist sie damit ein Dorn im Auge. Ihren noch im Iran lebenden Ehemann haben sie in der
Vergangenheit bereits festgenommen und abgeurteilt. Er darf das Land nicht mehr verlassen. Ihr selbst wäre bei einer Rückkehr eine Gefängnisstrafe sicher. Auch im Ausland wurde sie bereits
bedroht. Der Arm des iranischen Geheimdienstes reiche weit, weiß Tania Kaliji.
Zu spüren bekommen hat die 36-Jährige das bereits selbst. Auch ihre im Iran zurückgebliebenen Verwandten seien bereits unter Druck gesetzt worden, erzählt sie. Ihr Vater etwa sei kurzzeitig verhaftet worden, nachdem sie in den Niederlanden eine Rede gehalten hatte – bei einem eigentlich weitgehend geheim gehaltenen Treffen. "Die wissen alles", ist Tania Kaliji in Bezug auf den iranischen Geheimdienst sicher. Auch der Name Hans-Ulrich Mayr ist in Teheran nicht ganz unbekannt. So ist ein iranischer Oppositioneller nach einem Aufenthalt in München samt Treffen mit Mayr und Kaliji im Iran eingehender über den Winhöringer befragt worden. Angst machen lassen will sich Mayr davon nicht. Er fühle sich nicht unsicher – "aber natürlich würde ich jetzt auch nicht in den Iran reisen", sagt er. Auch Tania Kaliji will sich von verschiedenen Vorkommnissen nicht beirren lassen. "Man macht sich natürlich Sorgen. Aber ich mache weiter", sagt sie im Vertrauen darauf, dass die deutschen Sicherheitsbehörden ein Auge auf ihren Fall haben. So benötigt sie zwar keinen direkten Personenschutz, doch Polizei und Verfassungsschutz passen im Hintergrund auf.
Anders sieht es bei Tanias Freundin Roshanak Astaraki aus. Seit Dezember 2017 leben die Journalistin und ihre Tochter in
Georgien, nachdem das iranische Nachbarland Armenien sie zuvor zur Rückkehr in den Iran zwingen wollte. Sie erhalte in Georgien nur ein Touristenvisum, das alle sechs Wochen verlängert werden
müsse, schreibt Roshanak Astaraki der PNP (siehe Kasten unten) – alle sechs Wochen Zittern, dass sie und ihr Kind doch noch abgeschoben werden. Der Einfluss der Iranischen Revolutionsgarden sei
groß in Georgien. Ähnlich sieht man es bei "Reporter ohne Grenzen". Die Nicht-Regierungsorganisation spricht von Georgien als Einflussgebiet des iranischen Geheimdienstes.
Beim Auswärtigen Amt in Berlin hingegen fällt das Urteil weit weniger dramatisch aus. Weder sieht man dort Georgien als
Risikoland noch die Lage Astarakis als bedrohlich. Sie könne in Georgien Asyl oder eine andersartige Aufenthaltsgenehmigungbeantragen, wurde Hans-Ulrich Mayr mitgeteilt. Das Land habe ein
zufriedenstellendes und gut funktionierendes Asylverfahren. Die hohen Anforderungen einer Aufnahme in Deutschland nach Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes seien jedenfalls nicht erfüllt. Der
Mediziner kann ob dieser Aussagen nur den Kopf schütteln. Zumal er bereits zugesichert hat, dass er sie, wie damals Tania, bei sich aufnehmen würde. Ohne entsprechende Finanzmittel sei in
Georgien kein Asyl zu bekommen, schreibt auch Roshanak Astaraki – zumindest nicht für eine Iranerin in ihrer Situation, fügt Tania Kaliji an. Sie versteht nicht, warum die einst fruchtbare
Zusammenarbeit zwischen MFF und Außenministerium zunehmend kälter wird. Ob es am grundlegenden Stimmungswandel beim Thema Migration liegt? Sie weiß es nicht.
Absage sorgt für Unruhe unter den Oppositionellen
Was sie hingegen weiß, ist, dass aus ihrer Sicht nur Deutschland Astaraki wirkliche Sicherheit bieten kann – das Land, das in der iranischen Bevölkerung ein ganz besonderes Ansehen genieße, so die 36-Jährige: "Weil Deutschland uns, anders als Russland, die USA, Syrien oder Israel, immer uneigennützig geholfen hat." Mit entsprechender Verunsicherung werde deswegen auch die aktuelle Ablehnung im Fall Astaraki bei iranischen Oppositionellen aufgenommen. "Ich habe Hunderte Mails erhalten von Leuten, die das nicht glauben können", sagt Kaliji.
Immerhin: Einen Hoffnungsfunken hegen sie und Hans-Ulrich Mayr noch. Zwar hat sich analog zum Auswärtigen Amt auch das letztlich entscheidende Innenministerium zunächst negativ geäußert, was die
Aufnahme Astarakis angeht. Nach mehrmaligem Hin und Her aber hat sich der aus Mayrs Altöttinger Landkreis stammende Innenstaatssekretär Stephan Mayer vor wenigen Tagen bereit erklärt, sich den
Fall zumindest nochmal genauer anzusehen. Mayer habe sich bereits in der Vergangenheit "ganz wunderbar" für sie und ihre Sache engagiert, lobt Tania Kaliji: "Vielleicht kann er uns noch helfen."
Christoph Kleiner
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"Was wird aus meiner Tochter?"
Seit Dezember 2017 hofft Roshanak Astaraki in Georgien auf eine Einreisegenehmigung nach Deutschland. In dem Land am Schwarzen Meer fühlt sie sich vom iranischen
Geheimdienst bedroht. Die Macht der Mullahs sei allgegenwärtig. Die Heimatzeitung hat die 38-Jährige gebeten, ihre Gefühle in einigen Sätzen aufzuschreiben:
"Tiflis erinnert mich an Angst, Einsamkeit, Flucht, Erwartung und Unsicherheit. Ich konnte nicht einmal ein Visum für meine Tochter und mich bekommen, und so können wir unsauch nicht fühlen, als ob dieses Land uns akzeptieren würde. Wir haben hier wegen unserer besonderen Situation keine Beziehung. Obwohl Tiflis eine große Stadt ist, haben wir das Gefühl, dass unsere Wohnung die meiste Zeit in der Wüste liegt. Dieses Gefühl für ein zwölfjähriges Mädchen, das kurz davor steht, ein Teenager zu sein und soziale Begegnungen benötigt, ist sehr schwierig. Wir fühlen uns wie ein überflüssiger Teil der Gesellschaft.